
Tom und ich sind in der Boulderhalle. Wir klettern einige Routen zusammen. Da ich schon mehrmals da war und das Bouldern mir auch körperlich liegt, fällt es mir leicht. Tom ist jahrelang Profifußballer gewesen und hatte mit Klettern nie was man Hut. Für ihn ist es eher eine Challenge.
Allmählich sind die leichten Routen erklettert. Also gehen wir zu den Schwierigeren.
Nichts ist so motivierend wie die Erfahrung, eine Herausforderung gemeistert zu haben, die über dem aktuellen Leistungsniveau liegt.
Dies bezeichnet man als Selbstwirksamkeit oder auch als positiven Challenge-Reward-Effekt.
Sich der eigenen Stärken und Potentiale bewusst zu werden, ist ein wahrhafter Booster. Jedoch braucht es eben diese Gelegenheiten, um sie zu entdecken und zu entfalten. Die Route, die vor Tom liegt, ist nicht so easy, aber ich traue sie ihm zu. „Ich weiß, dass du das kannst! Ich sehe dich schon oben am Ziel!“ Ich bin fest überzeugt, dass er es schaffen wird und ich wünsche mir für ihn, dass er begeistert von sich selbst und vor allen Dingen mit einer großartigen Selbstwirksamkeitserfahrung nach Hause geht.
Tom ist skeptisch. Aber er versucht es, mit einem Gemurmel von: „Ach, da bin ich mir aber gar nicht sicher!“
Er behält Recht.
Der erste Versuch klappt nicht, auch nicht der Zweite und Dritte. So ein Mist! Die Kraft lässt langsam nach und mit ihr die Motivation. Ich überlege, was nun helfen könnte, jedoch ohne Zweifel darüber, dass Tom es schaffen wird. Diese Überzeugung bleibt.
Häufig ist es doch so, dass Vieles nicht auf Anhieb klappt.
Damit umzugehen, ist nicht immer leicht, aber eine mindestens ebenso große Chance für die eigenen Copingstrategien und langfristigen Erfolg. Bei Niederlangen konstruktiv und lösungsorientiert zu zu bleiben, lässt sich üben. Zum Beispiel, indem man so oft wie möglich auf das Stärkenkonto einzahlt und viele Erfahrungen sammelt, in denen man sich als selbstwirksam erlebt hat. Dies ist ein sehr wichtiger Resilienzfaktor, der sich nachhaltig positiv auf die Lebensgestaltung und das Annehmen von Herausforderungen und Möglichkeiten auswirkt.
Tom setzt sich zu mir und ich verwickle ihn in ein Gespräch, um ihm rauszuhelfen aus diesem Fokus von „es ist zu schwer, ich schaffe das nicht“. Ich nehme mir Zeit, damit er sich erholen kann und zurück in seiner Mitte landet. Nach einigen Minuten habe ich das Gefühl, dass sowohl sein Körper wie auch sein Mindset erholt sind. „Jetzt noch mal!“, ermutige ich ihn, „ich bin mir sicher: Du kannst das!“
Er glaubt es nicht und zögert. „Nee, das wird nichts mehr! Das ist zu schwer für mich.“ Ich akzeptiere es nicht und er mutige ihn erneut:
„Erwarte das Beste von dir. Ich tue das auch!“
Diese Erwartungshaltung führt zum Pygmalion-Effekt. Der Pygmalion-Effekt geht zurück auf Untersuchungen von Robert Rosenthal und Lenore Jacobson. Er beschreibt das Gesetz der Erwartungen und Überzeugungen. Erforscht haben Roenthal und Jacobsen, dass die Erwartung anderer Menschen das eigene Verhalten extrem beeinflusst. Ein Verhalten wiederum, das der Erwartung entspricht, führt zwangsläufig zum Ziel und hat wiederum große Auswirkung auf die Selbstwirksamkeitserfahrung und das Selbstwertgefühl. Entscheidend dabei: Verhalten wird gesteuert über eine Emotion.
Ein wirklich spannendes Phänomen.
Es funktioniert, ob im Berufsleben, in der Schule oder auch privat. Rosenthal und Jacobsen haben vordergründig erforscht, wie sich die Erwartung eines Menschen auf das Verhalten und die entsprechende Wirkung eines anderen Menschen auswirkt. Dieser Effekt lässt sich jedoch genauso auf sich selbst beziehen.
Alles beginnt beim Mindset.
Gedanken erwirken Gefühle – Gefühle steuern Handlungen – Handlungen erzielen Ergebnisse – Ergebnisse wirken auf Gedanken. Ein Kreislauf mit unglaublich viel Macht. Letztlich geht’s dabei um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Aber Achtung: Es kann Fluch oder Segen sein, je nach Erwartung, je nach Emotion.
Für mich ist der Pygmalion-Effekt etwas sehr Zentrales, sowohl, wenn ich an mich ganz persönlich denke und auch in meiner beruflichen Zusammenarbeit mit Menschen.
Befürchtungen stärken Misserfolg. Zuversicht und Zutrauen stärken Potential.
Zwei Beispiele aus der Erfahrung:
Besonders offensichtlich bemerke ich dies in meiner Arbeit als Lehrerin für Vorschulkinder. Ich weiß, dass ich sie am besten fördere, wenn ich das Allerbeste von ihnen erwarte. Mein Anspruch an mich selbst ist also, dass ich sie als großartige Persönlichkeiten wahrnehme und ihr individuelles Vermögen erwecke, anstatt Befürchtungen über Defizite anzustellen. Die Kinder, die das Vorschuljahr bei mir in der Klasse verbringen, sollen mit einem großem Rucksack positiver Überzeugungen und Zutrauen in sich selbst in die erste Klasse. Meine Erwartung und mein Anspruch sind also ganz bewusst, dass sie ein positives Selbstkonzept von sich entwickeln. Das Tolle ist: Diese Sichtweise und Überzeugung hilft nicht nur ihnen, sondern auch mir. Denn:
Der Pymalion-Effekt wirkt in beide Richtungen.
Er wirkt also beim „Sender“ und beim „Empfänger“. Das Beste von anderen zu erwarten, stärkt das eigene Warum, weil man jemanden WIRKLICH unterstützen kann. Das ist unglaublich sinnstiftend und das klappt in jeglichen Zusammenhängen. Was für eine Chance!
Ich glaube also zutiefst und felsenfest an das Potential der Menschen, mit denen ich zusammen bin und mit denen ich arbeite.
Auch zum Beispiel, wenn ich an meine Rolle als Yogalehrerin und Trainerin denke. Besonders hilfreich ist dies, wenn jemand zu mir zum Kurs kommt, der körperliche Beschwerden oder ein defizitorientiertes Selbstkonzept hat. Meine Erfahrung nach über 25 Jahren als Trainerin und Yogalehrerin ist, dass wir alle wesentlich mehr Potential in uns tragen, als wir wissen oder gar leben. Und das darf und muss Bitteschön raus! Ich habe mir also angewöhnt, unbändig Chancen zu sehen anstatt Begrenzungen. Und ich kommuniziere dies auch ganz bewusst so. Mit Erfolg! Ich kann mit Bestimmtheit sagen: Die allermeisten Menschen wachsen über ihre „anfänglich gedachten“ Einschränkungen und Defizite nämlich gewaltig heraus. Ein toller Nebeneffekt:
Du kannst den Pygmalion Effekt auch auf dich selbst anwenden.
Mein Tipp: Verpflichte dich zu Spitzenleistungen in kleinen und großen Zusammenhängen, erwarte sie felsenfest von dir!
Hand auf´s Herz: Frage dich mal, ob du dich selbst blockierst oder ermutigst:
Was erwartest du von diesem Tag oder von deinem nächsten Vorhaben?
Was denkst du über dich, wenn du vor einer Herausforderung stehst?
Wie groß träumst du?
Wir mutig bist du?
Bemühe dich entschlossen, klar und engagiert um dein Ziel, deine Weiterentwicklung oder Veränderung. Denke dabei bewusst groß und…
… sei leidenschaftlich!
Denn: Wenn du dein Denken mit deiner Emotion (im besten Fall Leidenschaft) verbindest, entwickelst du eine feste Überzeugung, die dich in deinem Handeln leitet und sehr viel Power hat, um dich ans Ziel zu führen. Und ja, ich weiß, es bedarf ein bisschen Übung, damit es zur positiven Gewohnheit wird.
Ich bin tief überzeugt, dass jede „Körperarbeit“ eine super Übung ist, denn hier entsteht die Verbindung vom Mentalkörper (Mindset) mit dem physischen Körper (Bodyset). Zu Beginn einer Sporteinheit oder Yogaklasse kann man wunderbar als Übung eine feste Verabredung treffen:
Eine Verabredung mit der schönsten Version am Ende der Einheit, eine Verabredung mit einem guten Gefühl, mit einem stärkenden Körperempfinden und mit positiven Gedanken. Sicher ist, dass diese Verabredung das Handeln leiten wird, positive Emotionen auslöst und zum besten Gelingen entscheidend beiträgt.
Pygmalion wirkt einfach. (Lies diesen Satz unbedingt mehrfach!)
Auch bei Tom. Er lacht, lenkt ein schaut auf sein Ziel und sagt: „Okay, ich mach das.“
Es kommt, wie erwartet. Tom klettert diese wirklich herausfordernde Boulderroute bis ganz nach oben. Ja, er muss sich anstrengen. Das gehört dazu. Aber er richtet sich positiv auf sein Ziel aus und fokussiert sich hierauf. Ich stehe unten davor und feiere ihn:
„YES!!! Du hast es geschafft!“

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